Montag, 22. April 2024

Kalendergedicht, Montag 22.April 2024

 

 

 Comer See

Im Mandelbaum leuchtet der Mond,
und seidig glänzt der See ...
Schwarz ragen die Zypressen
der Opfergangallee.

Die Reifenbarke schaukelt
zum tauigen Inselhain.
In Ufergartenblüten
sticht sich der Schwärmer ein.

Die Ringellocken der Lichter
verschaukeln um den See...
Still rauchen die Altäre
der Opfergangallee...


Leo Sternberg (1876-1937)

 

 

 

Sonntag, 21. April 2024

Kalendergedicht, Sonntag 21.April 2024

 

 

An deiner Brust


An deiner Brust ist meine Stelle,
In deinen Armen mein Asyl!
Mich warf des Sturm's empörte Welle
An dieses bang ersehnte Ziel.

Die Gaben, die das Leben zieren,
Jedwedes Gut, das köstlich heißt,
Was ich besaß, mußt' ich verlieren,
Daß du fortan mir Alles sei'st.

Jetzt, da ich Alles hingegeben,
Wird mir's durch dich zurückgeschenkt,
Wenn unter wonnevollem Beben
Dein Mund auf meine Stirn' sich senkt.


Betty Paoli (1814-1894)

 

 

 

Samstag, 20. April 2024

Kalendergedicht, Samstag 20.April 2024

 

 

Der Abend


Die Wolken waren fortgezogen,
Die Sonne strahlt' im Untergang,
Und am Gebirg der Regenbogen,
Als ich von meinem Lager sprang.

Da griff ich nach dem Wanderstabe,
Sprach meinem Wirt ein herzlich Wort
Für Ruhestatt und milde Labe,
Und zog in stiller Dämmerung fort.


 Nikolaus Lenau (1802-1850)

 

 

 

Freitag, 19. April 2024

Kalendergedicht, Freitag 19.April 2024

 

 

Kasperle-Verse


Ich komme und gehe wieder,
Ich, der Matrose Ringelnatz.
Die Wellen des Meeres auf und nieder
Tragen mich und meine Lieder
Von Hafenplatz zu Hafenplatz.
Ihr kennt meine lange Nase,
Mein vom Sturm zerknittertes Gesicht.
Dass ich so gern spasse
Nach der harten Arbeit draussen,
Versteht ihr das?
Oder nicht ?


Joachim Ringelnatz (1883-1934)

 

 

 

Donnerstag, 18. April 2024

Kalendergedicht, Donnerstag 18.April 2024

 

 

Blaue Hyazinthenblüten
Zittern leis im warmen Frühlingsduft.
Wetterschwere fahle Wolken
Schwimmen träg in weisslich blauer Luft.
Müde spielt die Frühlingssonne
In dem grünenden Geäst,
Nur die Amsel trägt geschäftig
Reiser ins verborgne Nest.
Langsam schleichen mir die Stunden,
Leer stirbt mir der Tag dahin, -
Ruhe glaubte ich gefunden,
Da ich fern von Dir jetzt bin! -


Heinrich Vogeler (1872-1942)

 

 

 

Mittwoch, 17. April 2024

Kalendergedicht, Mittwoch 17.April 2024

 

 

 Der Regenbogen


Schönes Kind der Sonne,
Holder Regenbogen,
Ueber schwarzen Wolken
Mir ein Bild der Hoffnung.


Tausend muntre Farben
Bricht der Stral der Sonne
In verhüllten Thränen
Ueber grauer Dämmrung.


Johann Gottfried Herder (1744-1803)

 

 

 

Dienstag, 16. April 2024

Kalendergedicht, Dienstag 16.April 2024

 

 

Philosophisches Barometer

Ein Barometer hängt in meines Freundes Zimmer,
das geht nicht, sondern steht auf gutem Wetter immer.
Ein solches Wetterglas ziemt philosophischem Sinnen:
Was draußen wechselnd schwankt, sei stete Ruhe drinnen.

Friedrich Rückert (1788-1866)

 

 

 

Montag, 15. April 2024

Kalendergedicht, Montag 15.April 2024

 

 

Damals


Saßen wir beide Hand in Hand
Glücklich in Liebe und Wonne;
's war nur ein armer Grabenrand,
Aber bestrahlt von der Sonne!

's war nur Ginster und Heidekraut,
Drin sich die Käfer verirrten;
Aber mit jubelndem Liebeslaut
Lerchen zum Himmel aufschwirrten.

's waren nur Stunden glücklich und klein,
Da wir uns heimlich getroffen;
Aber wir beide waren allein,
Und der Himmel stand offen!


Hans Eschelbach (1868-1948)

 

 

 

Sonntag, 14. April 2024

Kalendergedicht, Sonntag 14.April 2024

 

 

Der Bote



Am Himmelsgrund schießen

So lustig die Stern,

Dein Schatz läßt dich grüßen

Aus weiter, weiter Fern!

 

Hat eine Zither gehangen

An der Tür unbeacht′,

Der Wind ist gegangen

Durch die Saiten bei Nacht.

 

Schwang sich auf dann vom Gitter

Über die Berge, übern Wald -

Mein Herz ist die Zither,

Gibt ein′n fröhlichen Schall.



Joseph von Eichendorff (1788-1857)

 

 

 

Samstag, 13. April 2024

Kalendergedicht, Samstag 13.April 2024

 

 

April


Das ist die Drossel, die da schlägt,
Der Frühling, der mein Herz bewegt;
Ich fühle, die sich hold bezeigen,
Die Geister aus der Erde steigen.
Das Leben fließet wie ein Traum -
Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.


Theodor Storm (1817-1888)
 

 

 

Kalendergedicht, Freitag 12.April 2024

 

 

 Auf einen Baum in dem Wäldchen bei Sesenheim


Dem Himmel wachs entgegen
Der Baum, der Erde Stolz.
Ihr Wetter, Stürm und Regen,
Verschont das heilge Holz!
Und soll ein Name verderben,
So nehmt die obern in Acht!
Es mag der Dichter sterben,
Der diesen Reim gemacht.


Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

 

 

 

Donnerstag, 11. April 2024

Kalendergedicht, Donnerstag 11.April 2024

 

 

Morgenfroh

Nun brennt der alte Fichtenwald
Im frühen Tag rubinenrot;
Das Korn, das hoch im Winde wallt,
Ist ganz von lichtem Mohn durchloht.

O Morgen! junge Majestät,
Du wanderst über Demantgras;
Und wie in hellen Bechern steht
In Anemonen Tauesnaß.


Alberta von Puttkamer (1849-1923)

 

 

 

Mittwoch, 10. April 2024

Kalendergedicht, Mittwoch 10.April 2024

 

 

 Die Stille

o stille Nacht! Dein heilig Schweigen,
Der Bäume stilles Wipfelneigen.
Geheimnisvolles Wonnerauschen,
O könn`t ich ewig dich belauschen!-

Und hoch ob mir der stille Himmel,
der gold`nen Sterne licht Gewimmel,
Nur einsam läutet noch ein Weilchen,
Geheimnisvoll ein blaues Veilchen.


Hermann Eris Busse (1891-1947)

 

 

 

Dienstag, 9. April 2024

Kalendergedicht, Dienstag 9.April 2024

 

 

Ostara

3.

Komm du, wir wollen traulich schreiten
wie selige Kinder, Hand in Hand,
durch blütenschwangre Frühlingsweiten,
durch warmbesonnten Meeressand.

Die Luft erklingt, die Wipfel lauschen,
die Sonne grüßt uns trunknen Blicks, -
und über unsere Seelen rauschen
die Wogen des Ostaraglücks.

Das ist ein Wachsen und ein Werden,
wir wandeln wie voll süßen Weins:
Eins sind wir mit der Kraft der Erden,
und mit dem Himmel sind wir eins.

Wie rings die Ferne sich entschleiert
in Glut und Glanz und Windeswehn,
so - Aug in Auge! - leuchtend feiert
die Gottheit in uns Auferstehn!


Klara Müller-Jahnke (1860-1905)

 

 

 

Montag, 8. April 2024

Kalendergedicht, Montag 8.April 2024

 

 

Unsre Wiesen grünen wieder,

Blumen duften überall;

laut ertönen Finkenlieder,

lieblich schlägt die Nachtigall.

Hell wie Gold und Purpur strahlet

lichter Maienwölkchen Schaum,

und der holde Frühling malet

weiß und roten Apfelbaum.
 


Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834)

 

 

 

Sonntag, 7. April 2024

Kalendergedicht, Sonntag 7.April 2024

 

 

 Wie ein Rausch …

Wie ein Rausch ist deine Liebe,
Deine Küsse wie der Wein -
Trank ich mich an deinen Lippen
Selig satt, so schlaf ich ein.

Und dein Arm ist meine Wiege,
Heimlich singst du mir ein Lied,
Daß ein Glanz von Glück und Liebe
Noch durch meine Träume zieht.


Anna Ritter (1865-1921)

 

 

 

Samstag, 6. April 2024

Kalendergedicht, Samstag 6.April 2024

 

 

Mein täglicher Spaziergang

Nur ein paar Birken, Einsamkeit und Leere,
Ein Sumpf, geheimnisvoll, ein Fleckchen Haide,
Der Kiebitz gibt mir im April die Ehre,
Im Winter Raben, Rauch und Reifgeschmeide,
Und niemals Menschen, keine Grande Misère,
Nichts, nichts von unserm ewigen Seelenleide.
Ich bin allein. Was einzig ich begehre?
Grast ihr für euch, und mir laßt meine Weide.


Detlev von Liliencron (1844-1909)
 

 

 

 

Freitag, 5. April 2024

Kalendergedicht, Freitag 5.April 2024

 

 

Auf dem Brocken


Heller wird es schon im Osten
Durch der Sonne kleines Glimmen,
Weit und breit die Bergesgipfel
In dem Nebelmeere schwimmen.
Hätt ich Siebenmeilenstiefel,
Lief ich, mit der Hast des Windes,
Über jene Bergesgipfel,
Nach dem Haus des lieben Kindes.

Von dem Bettchen, wo sie schlummert,
Zög ich leise die Gardinen,
Leise küßt ich ihre Stirne,
Leise ihres Munds Rubinen.

Und noch leiser wollt ich flüstern
In die kleinen Liljenohren:
Denk im Traum, daß wir uns lieben,
Und daß wir uns nie verloren.


Heinrich Heine (1797-1856)

 

 

 

Donnerstag, 4. April 2024

Kalendergedicht, Donnerstag 4.April 2024

 

 

Wann der Hahn kräht

Wann der Hahn kräht auf dem Dache,

Putzt der Mond die Lampe aus,

Und die Stern ziehn von der Wache,

Gott behüte Land und Haus!



Joseph von Eichendorff (1788-1857)
 

 

 

 

Mittwoch, 3. April 2024

Kalendergedicht, Mittwoch 3.April 2024

 

 

In der Frühe


Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
dort gehe schon der Tag herfür
an meinem Kammerfenster.
Es wühlet mein verstörter Sinn
noch zwischen Zweifeln her und hin
und schaffet Nachtgespenster.
- Ängste, quäle
dich nicht länger, meine Seele!
Freu dich! Schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden.


Eduard Mörike (1804-1875)